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Bebilderte Geschlechterbücher der deutschen Renaissance
Ein Internetangebot rund um die Chronik Eisenberger
von Hartmut Bock

Im Rahmen dieser Seiten können nur einige wenige weitere Themen aus Edition und Kommentar geboten werden. Sie sollen einen ersten Eindruck vermitteln und Appetit auf das Ganze machen:

Die in diesen Seiten gezeigten Bilder der Chronik Eisenberger  Bild 6, 42, 48, 91/2, 100’, Ausschnitt 120 (Banner), 143 (Titel) sind im Original ca. 155 mm breit (volle Breite des Blocksatzes der Chronik); Bild 182’ hat ca. 180 mm Originalbreite._______________________________________________________________
 

Kostümfiguren (siehe Titelbild [Start-Seite], Banner und die folgenden Bilder)

Bei den Kostümfiguren der Chronik Eisenberger beginne ich mit dem Chronisten selbst und den sich wandelnden Moden im Laufe seiner drei Ehen: 1577 sehen wir Philipp Eisenberger als kecken Junker selbstbewußt posieren mit seiner ersten Frau, Catharina Bromm, aus vornehmem Frankfurter Patriziergeschlecht (Bild 143 sowie Titelbild). Er im kurzen Oberrock, der Harzkappe mit geschlitztem Kragen, mit typischer Pluderhose, darunter zu Blumen geschlungene Kniebänder [1], noch sehr kleiner Kröse und flottem Hütchen mit Feder. Wichtige Attribute seines Standes sind Degen, Dolch und goldener Anhänger. Der Renaissancemann von Einfluß und Stand zeigte gerne Schmuck [2]. Auch das ritterschaftliche Krönchen auf dem Wappenhelm ist ein Zeichen seiner Würde. Sie in schön gemustertem Kleid und Oberkleid, mit gepufften halben Ärmeln und typischer, goldgeschmückter Haube. Das Bild läßt die stärkere Betonung des Körpers bei der männlichen, als bei der weiblichen Kleidung in dezenter Form erkennen [3]. Auf dem Titelblatt der Chronik (Bild Y) schaut das Ehepaar als Halbfiguren aus einem Fenster; auf der Brüstung ist ein grüner Teppich – ein Zeichen des Wohlstandes – ausgebreitet [4]; passend umrahmen grüne Vorhänge das Paar: Er mit ärmellosem Lederwams, ebenfalls mit Hütchen, dem goldenen Zahnstocher als Anhänger, das Gesicht durchaus mit individuellen Zügen und sie mit fast gleicher Haube, aber ohne Goldverzierung, sowie einem glatten Gesicht wie auf Bild 143. – 1595, 18 Jahre später, heiratete Philipp zum zweiten mal, Margarethe von Meckenheim, aus pfälzischem Niederadel (Bild 171). Er in schwungvoller Beinbewegung, französischer Hose mit weitem Gesäßteil und eng anliegenden knielangen Beinen [5], ohne Kniebänder, nun schon mit Tellerkröse, auf dem Kopf – mit Band geschmückt und mit schmaler Krempe – der zylindrische Hut, der schon zur spanischen Tracht gehört. Auch Margarethes Kleidung entspricht der spanischen Mode, nun stark tailliert, mit steifer Tellerkröse und das Haupt breit machender Haartracht und Haube. – Schon 8 Jahre später heiratete Philipp 1603 zum dritten mal, Anna Juliana von Schmittburg, aus niederadliger Familie von Hunsrück und Rheinhessen (Bild 182‘). Nun war das spanische Kostüm voll ausgebildet: Er in an den Beinen noch enger anliegender Kniehose, zylinderförmigem Hut, elegant die Körpermitte umschwingendem Mantel, mit nur angedeutetem Schmuck. Anna Juliana im steifen Tonnenrock, mit überenger Taille mit typischen Schulterstücken und der nun ansteigenden Frisur, sowie drei statt bisher nur zwei Goldketten, eine davon mit Anhänger; feinste Spitzen an der Haube und große Tellerkröse runden ihr Bild ab (durchaus ein wenig an Porträts der englischen Königin Elisabeth I. erinnernd, also von äußerst repräsentativer Art). Ein derart eingezwängter Körper ließ nur verhältnismäßig wenig Bewegungsfreiheit zu und erzwang geradezu das steife spanische Hofzeremoniell. Der geschlossene, vornehme Gesamteindruck wird durch die gebrochenen dunklen Farben vollendet. Wir haben drei Jahrzehnte Kostümentwicklung mit unserem Chronisten und seinen Frauen miterlebt; die Zeichnerqualität ist stetig gewachsen; zum Schluß kam wohl der damals beste Frankfurter Maler, Philipp Uffenbach, zum Einsatz (Kap. C3b).

Bild 182’: Philipp von Eisenberg und seine dritte Frau Juliana von Schmittburg.

Zusammen mit den Kostümbildern der angeheirateten patrizischen Verwandtschaft aus Frankfurt werden 250 Jahre Kostümentwicklung weitgehend richtig wiedergegeben, sichtbarlich an bildlichen Vorlagen orientiert, wie etwa Grabmälern.

Bild 100’: I. Heinrich Rorbach. Seine haussfraw.

Das Grabmal des Reichsschultheißen Rudolf von Sachsenhausen (+ um 1373) im Frankfurter Dom wurde - zeitlich passend - zum Vorbild der Figur des Frankfurter Patriziers Heinrich Rorbach (+ 1400). Entsprechend der Erzählung, daß er Rudolf von Wittelsbach diente, wurde eine Ritterfigur genommen. Für die unbekannte Frau wurde - ebenfalls passend - Konne von Spangenberg (Heirat 1401) aus dem Frankfurter Hausbuch Melem gewählt.
Die Chronik Eisenberger zeigt vor allem solche Kostümbilder, d.h. die gesamte Familie in genealogischer Anordnung. Daneben gibt es Szenen (siehe die folgenden Beispiele), Grabmäler und manches andere zu sehen.
 

Der Ortenberger Keller bzw. Amtmann Philipp Eisenberger d.Ä. im Streit mit Reinhard Graf von Isenburg, 1550er Jahre

(Zuvor wird der Kampf um Kloster Konradsdorf mit Otto Graf von Isenburg erzählt.)
Nach absterben Graven Ottens, nhame sich dieser streitt im ampt Ortenberg wi auch der succession sein eltester bruder Grave Reinhart von Ysenburgk etc. an, der ware ihm Philipsen in so whol zu wider als sein bruder seliger, da doch gedachter Philips seins thuns nit zu verdencken, seinen herrn vermöge pflichten getrewlich dienen muste: Es hette derhalben Grave Reinhart ihn Philipsen gern ergrieffen, wo er nit verwarnet, sich wol hette furgesehen. Darumb nimpt ihm der Grave einesmal fuhr, ihn mit gewaltt zu ereilen, und da dero zeit das ampt Eichelsachsen denen Graven von Ysenburg von Heßen als ein pfandtschilling noch versetzt war, samlet er dieselbige bawren wie auch im ampt Wenings seine underthanen zusamen, in willens ihn Philipsen bey nacht zu Ortenberg außzuheben, und gefenglich hinweg zu fuhren: Philips wurde deßen von etlichen vertrewlich verstendiget, versahe sich in eill und der geheim, auch mit königsteinischen bawrn auß dem Vogelsbergk und ampt Ortenbergk, ließ die stattmeuren damitt besetzen. Under deßen nahme er ettliche altte stuck buchsen uf dem schlöß, ließe sie zurusten, und dazu hackenbulver, so noch vorhanden, thette in der nacht ettliche starcke schuße. Und zugleich ließe er bey abent zwen Burger von Ortenberg auß uf Wenings zugehn, zuverkuntschaffen, ob der Grave mit seinen bawren ufm wege were. Ware er daruff deß furhabens, das geschutz uf dem schloß fur die pfortten zurucken, und wan ir der Flecken (der doch vor ein anlauff mit graeben und meuren zimlich verwarth), soltte eingenhommen werden, vor allem als dan das geschutz under sie gehen zulaßen: Soltte er dan je ubermannet sein, hatte er seiner hausfrawen, die damals kindts inlag, befholen, uf solchen fall dem Graven fur ihn einen fueßfall zuthun. Aber die beyden, so zur kuntschafft abgeschickt warn, brachten gute bottschafft, dan als sie an das orth kamen, da der Grave mit seinen bawren läge, und gefragt wurden, von wannen sie kemen, anzeigten, das sie auß dem Stifft Fulda, unwissend dieser ding heimwertz keren wöltten, vernhamen sie das sich der Grave mehr als die Ortenberger furchte und besorgete. Dan da er bey der nacht ditz schießen gehöret, hatte er besorget, eß wurde ihm selbst das jenig begegnen, so er furhatte. Ließe derhalben des morgents seine bawrn heimzihen, und thete er sich selbst von dannen, behielte also ein schwert das ander in der schayden. Wie er aber diesen schimpff erfuhre, warde er uber ihn Philipsen noch mehr erbittertt.

Nachmals es sich weitter begabe, das Grave Ludtwig zu Stolberg, welcher vor kurtzem die Graveschafft Konigstein hatte inbekommen, in das ampt Ortenberg kame, allerhand lusten mitt jagten und fischereyen zu haben. Dahin bate und beschriebe er wolgemelten seinen vettern Grave Reinharten, der auch hinkame. Wie sie dan einsmals uf der fischerey waren und Philips Eisenberger auch seiner amptsgeschefft halben hinauß zu seinem herrn ginge, und der Grave ihnen ersahe, sprach er ihn an mitt den wortten: Er wölte ihm hiemit hoch betheuret und versprochen haben, wo er ihnen ereilett, eine schwertsschayden auß ihm zu machen. Philips Eisenberger aber greiffe in die taschen, zoge einen hartten schreckenberger [sächsische Münze] herauß, bote ihn dem Graven mit deren anzeig: Ihre Gnaden söltten eine schwertscheyden bey dem Messerschmit bestellen laßen, die andere (seinen leib meinend) werde ihm noch nit feyl. Das erzurnete Grave Reinhardten noch mehr, also das Grave Ludwigk ihn Philipsen hieße beiseits gehen. Aber Grave Ludwig sprach nachmals ihn Grave Reinhardten seinen vettern deßwegen selbst an, er söltte sich thätlichen fuhrnehmens gegen Philipsen seinem Diener und Beampten enthalten, dan alles was er hierinnen gehandlett hette, were auß pflicht und bevhelch auch billich geschehen: Hette demnach Grave Reinhardt etwas darwider zu handlen: Sollte ers gegen ihm Grave Ludwigen selbsten, und nit den dienern fuhrnehmen. Deßen wölte er sich gegen ihm hierzu gutlichen und rechtlichen austrags und vergleichung erbotten haben. Es ware aber auch dieses bey Grave Rheinhartten unverfenglich.
Scherz und Finten im Kampf wurden reichlich gebraucht. Als Hintergrund von Bild 48 ist die Jagd/Fischereiszene mit Netzen und Stangen dargestellt, bei der man sich traf. Ein Häslein duckt sich ängstlich an einem Baume. Das Ganze ist keine große Kunst, aber doch recht anschaulich. - Die Streitereien mit dem Isenburger Grafen nahmen erst dann ein Ende , als sich mehrere isenburgische Amtsträger für unseren Keller einsetzten, so der Rittmeister Adam Waise von Fauerbach , der sogar seinen Dienstvertrag mit dem Grafen aufkündigte, worauf erst dieser einlenkte. Ein ganz bemerkenswerter Akt der Solidarität und des engen Zusammenhalts der Amtsträger untereinander, über Territorialgrenzen hinweg.
 

Die “Hofposse” zu Königstein (um 1470/75)

(Der junge Walther Eisenberger, Großonkel des Chronisten, und seine Edelknappen-Freunde)
Einsmals stelleten sie volgenden hoffboßen an, der jedoch zum ernst geriethe; wie dan die froliche jugent den ausgang nit allezeit betrachtett: Es whar einer am hoef, vom adel, ihrer gesellen, von natur zarth und weich erzogen, welcher sich in kriegen oder sunsten, nichts oder gar wenig versucht hatte, leichtlich schwach mächte. Dieser, alß er sich einsmahl schwachheit annhame, und zu bette lagerte (welches jedoch seine hoffgesellen vor einen schimpff hielten), und ein diener seiner zuwarten verordnet ward: Machte der von Bommersheim, der Reiffenstein und Walther Eisenberger mit solchem diener den anschlag, ob sie den junckern könten von seinem zartten leben entwhenen, wie volgt: Der diener fragt ihn den junckern, ob er nit der artzte Rhatt pflegen wöltte, welches als es der Edelman bewilligete, und der diener sich annhame, denn harm [Harn] naher Franckfurth zuschicken, den Medicum hinauf naher Königstein zubeschreiben, verfertigten daruf obgenante drey, in nhamen des Medici, bey dem botten, so sie auch darunder zum schein abgeordnet hatten, eine schrifftliche antwortt: Es hette nemlich er der Medicus auß dem harm befunden, das es mit seiner ehrnvesten sorglich, er wölte demnach volgenden tag zu Königstein bey seiner ehrnvest erscheinen, an möglichem vleiß nichts erwinden laßen: Es sölten under deßen seine Ehrnvesten sich durchauß, auch das angesicht, whol bedeckt halten, keine luft zulaßen. Von solcher zeittung warde der krancke kleinmutiger: und inmittelst, theileten obgenante drey ihre persohnen auß, das der von Bommersheim der Teuffel, Walther Eisenberger der artzte und Reiffenstein der pfaff sein, ein jeder sich mit kleidungen zu ihrem furhaben dienlich, geschickt machen sollte, deßen sie sich volgenden tags zu gewißer stund vereinigett.

Bild 6: Ein artige doch in ernst ausgangne histori.

Den andern tage schicketen sie, oder ließen vielmehr durch seinen diener dem krancken anzeigen, es werde der doctor und artzt von Franckfurth kommen, nach seiner Ehrnvest gefallen ihn zu besuchen, die umbstende der schwachheit zuerlernen, und notturfftige mittel und artzney zu verordnen; deßen dan der kranck wol zufriden, idoch von seinem diener dahin beredet warde, das betth zu erfrischen, das er sich dieweil in eine stuben darbey uf einen seßel fuhren ließe. Inmittelst der kranck uf dem seßel sitzt und das betth zugericht wirdt, verfuget sich der von Bommersheim heimlich in die kammer, leget sich oben uf das Gehimmelts des Bettes: Er war eine lange schwartze durre person, truckenen gesichts, mit einem schwartzen barth, großer gebogener naasen, und hatt ihm zu disem spill ein scheußlichs kleid, wie auch einen altten hutt, und daruf zwey krummer hörner machen laßen zur teufrfels gestalt: Nach solchem, warde der kranck durch sein diener wider zu bett gelegt, und nach rhatt deß Medici (damit er die anstellung nit mercken möchte), umb das angesicht vor die lufft widerumb zugedeckt und woll verhullet, das er nit umb sich sehen möchte. Baldt darnach kam Walther Eisenberger der artzte, der hatte sich gleichfals zu solcher person mit allerhand kleidung versehen und gefaß gemacht, verenderte seine stimme, und grüssete den junckhern, fragendt, wi es sich mit ihm verhielte: Da ihm dan der edelman gantz krenckerlich antwortete, sein schmertzen und schwachheit anzeigte, und ihm der Medicus den pulß begreiffen thete. Zeiget er seiner Ehrnvest an, eß were mit der kranckheit gantz gefehrlich geschaffen, nit viel hofnung lengern lebens vorhanden. Jedoch wölte er S.E. etwas zurichten und in der Cura an möglichem vleiß nichts erwinden laßen. S.E. sölte aber nit wenigers auch sich zuvorderst allein, mit Gott versehen, einen geistlichen zu sich erfordern, und sich trösten lassen. Ob whol dan der krancke dardurch zaghaffter ward. Jedoch ward dem diener einen pfarherr zubeschicken anbefholen. Entlich kame der Reiffenstein in einem gaistlichen habit durchauß beklaidett, verwandelte gleichfals seine stimme, grußet den junckhern, die ursach der beschickung anzuhoren. Welche da ers hette vernhommen, tröstet er ihn nach bestem vermögen (wie er dan nit allein ein verstendige person, sondern auch zu allerhand schimpflichen höfhendeln ein außbundt war) auch underm anderm mit diesen wortten: Es wüste sich seine E. selbst zuberichten, das der böse feind dem Menschlichen geschlecht zuwider, und bevorab, wan es zum letztenn stundlin kömmen wöltte, den Christen hartt zusetzen thete. Darumb sollten sich seine E. auch zu Gott wenden, den er ohne zweyvel sey, das auch itzo der böse, nit weit von dannen s.E. allerhand gedancken einschießen wurde. In dem er nuhn solches redet, reget sich der von Bommersheim uf dem Betth und gehimmelts, hatte sein hutt mit den hörnern uf, und siehet vom betth herab den krancken gantz storrig an. Da dan der krancke das gedöne uf dem betth horet, erschricket, und uber sich sihet, wird er deß gesichts gewahr, so uf ihn gantz scheußlich gerichtet: Darob er sich zum höchsten entsetzt , Gott umb hulf und rettung anruffet, das ihn auch sein diener im bett halten, und trösten mußen. Ist demnach allem (unbewust auß solchen schrecken oder rechter schwachheit) in wenig tagen darnach gestorben: Das also solche schimpfliche anschlege nit alzeitt uf glucklichen ausgangk zuwagen.
Schwank und derber Spaß gehörten damals dazu und wer das nicht vertrug, bekam erst recht einen Streich gespielt. Der Karriere von Walther Eisenberger hatte dieser Ausgang nicht geschadet: Er war später 24 Jahre lang Amtmann von Hofheim im Taunus.
 

Hospitalszene 1567 in Frankfurt (Bild & Text): Operation von des Chronisten Schwester Anna

Diese Anna ward in irer jugent gen Himmelthal ins closter gethan zu der Eptissin ihrer Mutter Schwester, deren droben folio 53 gedacht worden, nehen, schreiben und lesen zulernen. Und war etliche jahr drinnen, begegnete ihr ein großer schadt, und warde verzaubert dergestaltt: Ein altes weib und Zauberinne hette die Eptissin gern beschädiget und hatt ihr etwas uff eine stegen im Closter vor der kuchen gelegt: Nuhn schickete di Eptissin das Mägdlin ohne gefehr etwas auszurichten in die kuchen, das es gerade hinab ging; wie es wider hinauf gehen will, fengt es an zu hincken, klagt die schenckell: Daruff gewanne es geschwulsten am halß und armen, die brachen uff, und warden ihm mit träncken under sich in die schenckel getrieben. Da aber der schmertzen zunhame, schickete es der vatter genn Franckfurtt, da hatte es der zeit berumbte welsche artzte, gabe ihm Barbarin seine schwester ihr zu warten zu. Es wölte aber der schaden nit nachlaßen, sondern geriethe so weit, das die Ertzte entlich vermeinten, man muste ihr den schenckel abschneiden. Der vatter wölte nit drein willigen. Also musten sie ein ander mittel fuhrnehmen, das es ein stetiger fluß bleiben sölte. Sie haben ihm mitt fleten [6] oder schermeßern stuck fleisch aus dem schenckel geschnitten, mitt gluenden eisen es gebrent, mit meisseln und kluppel mehr als ein handt vol bain ihr auß der beinröhrn geschlagen. Das hat das Mägdlin mit großer verwunderung erstanden, da doch darbey auch Barbirer, so es gesehen in onmacht gefallen. Dar nach kam sie wider ins Closter, und zoge einsmals uf den Odenwaldt zu ihrem vettern Hans Gansen von Otzberg und seiner Hausfrawen Margretha Wildentin von Hecksdorff genantt, verwarloste den schenckel mitt verbinden, das der fluß zuheiltte. Also da sie uber ettliche wochen widerumb ins closter kame, warde sie schwach, und starb; ligt auch zu Himmelthal im Closter begraben, das geschache anno Christi 1567.
Das als Unterschenkelgeschwür (Ulcus cruris) beschriebene Leiden ist in der zeitgenössischen Literatur als Alter Schaden bekannt (vergl. Rohland, Das ‚Buch von alten Schäden‘). Zur in Bild und Text außergewöhnlich präzise beschriebenen, dramatischen Operation der Anna Eisenberger 1567 in Frankfurt (S. 148-149) einige Ergänzungen zum Bilde; dabei ist diese Szene sichtbarlich keine große malerische Kunst, jedoch recht anschaulich: Für den welschen Artzt samt dem Hund wurde Jost Ammans Doctor (Jurist [!]) zum Vorbild genommen (Bild 91/2*); auch in den ‚Practica Copiosa‘ des Caspar Stromayr, einem chirurgischen Anleitungsbuch für Bruchoperationen [7], ist der Hund im Hospital gang und gäbe; er fraß die anfallenden Körperteile, eine uns heute in einem Hospital undenkbare Vorstellung, aber damals wohl vergleichsweise "saubere" Beseitigung. Präzise Detailbeobachtungen ergänzen das Bild, so das mit Blasebalg angefachte Kohlebecken; an der Tür der offene Handfaßschrank (Waschgarnitur mit Wasserbehälter und Becken), wie wir ihn auch im Hause der Eisenberger als Standartausstattung und in vielen Abbildungen, etwa im Augsburger Schwarzschen Trachtenbuch, finden, samt Endloshandtuch über der Stange; der vornehm wirkende Vorhang über dem hohen, reich verzierten Kastenbett (die hohen Betten waren für die Krankenpflege besser als unsere heutigen geeignet, vergl. auch Bild 6), das Fußbänkchen vor dem Bett. Der am Bettrand am Kopfende stehende rote Behälter läßt sich als Gutterolf mit Alkohol- oder Essig-Inhalt identifizieren; er wurde in der Medizin als Tropfflasche zur kontrollierten Abgabe kleiner Flüssigkeitsmengen benutzt; Alkohol oder Essig wurde unter dermatologischer und traumatischer Indikation eingesetzt. Weitere Einzelheiten zeigen in den Arkaden den Wandschrank mit Zinngeschirr auf einem Bord und die gemusterten Fließen. Zwei der drei Fenster sind mit Holzläden geschlossen. Uns heutigen fällt auch die offene Tür auf , durch die ein Kirch- oder Rathausturm sichtbar ist. Der Raum wirkt hallenartig groß, ganz im Gegensatz zu dem kleinen Gemach auf Burg Königstein (Bild 6). Bei der Figur des gerade operierenden Barbierers war der Zeichner mit der angestrebten Perpektive überfordert. Das Bild erzählt schon alleine eine Geschichte, die vom Text mit weiteren präzisen Informationen ergänzt wird, gemischt mit abergläubisch-magischen Vorstellungen, ein Stück (Frankfurter) Medizingeschichte [8].
 

Historia Anni 1499 (vergl. Quelle der Historia Anni 1499)

In welchem 1499. Jahr, warffen sich die Schweitzer uff gegen das hauß Osterrich, nhamen acht vogteyen in, die demselbigen von alters hero zugehort haben, das ist: Chur, Meyenfeldt, beyde Engedin, Foß [Davos], Prättigkaw, Montefon und Grawebundter. Die Tyroler auß der Etsch zogen mitt heereskrafft in das Munstertthal, verbrenneten es gar. In der Charwochen uberfielen die Etschlender das under Engedin, verbrenetens, und bezwungen sie, dem kayser sich widerumb, underworfen zusein. Alß aber die Etschlender abzogen, sind di Engediner wider zun Schweitzern gefallen. Die Schweitzer und Grawbundter nhamen des kaysers flecken ein, das stätlin Meyenfeldt, und das schloß faldutz [Vaduz], da ging der Schweitzer krieg an, und erstreckt sich von Chur am Rhein herab, biß under Basell. Die von Zurch, Bern, Freyburg und Solothurn verbrenneten schloß und dorffer im hegaw: Alß di Schweitzer auß dem Hegaw heimzogen, und in das Thurgaw waren kommen umbgabe sie der raisige zeugk des Schwäbischen Bundts, als wolltens mit ihnen treffen, da stunden die Schweitzer in ihrer Ordnung ein gantzen tag und nacht, und erfroren ihrer viel im schne vor kelte, kamen ungeschlagen von einander. Der Schwabische bundt zoge auß Constentz mit 9000 Mannen, und haben die Schweitzer zu Ermathingen uberfallen, erstochen viel, schlugens in die flucht biß ins Schwaderloch, ist ein großer waldt. Die Schweitzer schlugen an sturmglocken, kamen zusamen, griffen di Bundtische ahn, erschlugen die hauptleut und forderste glieder, di andern tribens in di flucht. Abermals kamen beyde heer zu Frastentz [Frastanz] an einander. kaiser Maximilian kame mit dem kriegsvolck auß Geldern, und erfordert hulff vom gantzen Reich von Fursten udn Stäetten, ließ des Reichs fahnen flihen, zog fort, darnach ob Basel, thete ein angriff mit den Schweitzern, und wiewhol keine nhamhaffte schlacht geschach, sind doch in allem Schweitzerkrieg mehr dan zwantzig tausent Man und Namhaffte hauptleut, alß Grave Heinrich von Furstenbergk, Grave Hans von Ortenburgk und sunsten viel Ritter und knecht umbkhommen. Herr Georg von Fronsbergk war 24 jahr alt wie er in den andern Schweitzer krieg zoge. Sein bruder Adam von Fronsberg Ritter, Hauptman des Schwabischen bundts war in ein schenckel geschoßen mit einem handrohr. Konig Ludovicus in Franckreich nam, und deßen der kaiser mit den Schweitzern zuthun hatte, das hertzogthumb Meylandt ohn schwertschlag ein. Ludwig Sfortia flohe in Teutschland mit weib und kindern, macht friden zwischen dem Kayser und Schweitzern. Under deßen macht der Bapst mit dem Frantzosen und Venedigern ein bundtnuß wider ihn, da er dan kein hulf wuste, ruffete er Baiazetem Turckischen kayser an, der fiele den Venedigern ins landt, kam biß gen Tervis [Treviso], hat darnach Meton [Modon, Methoni (Peloponnes)] und Coron [Koroni (Peloponnes)], auch Naupactum [Naupaktos, Nafpaktos = Lepanto (Golf von Korinth)] und Durrach [Durazzo] eröbert. Nach eröbertem Meylandt [hat] Caesar Borgia die Frantzosen, auch 10000 Schweitzer in sein besoldung angenhommen, der Babst setzt ihn zum obersten hauptman der kirchen, gab ihm kriegsvolck und gelts gnug, dan er hatte alles geltt auß der Christenweltt eingezogen. Es war der Caesar Borgia sein des Bapstes Alexandri Bastart sohn, welcher seinen bruder Franciscum, wie sie bey der Babstin oder Mutter zu nacht geßen, Vanetia genant, erstochen, in die Tyber hatt werffen laßen. Er Caesar, wie Jovius Pontanus [Giovanni Pontanus (1426-1503), italienischer Historiker]  schreibt, hatt einmahl uf ein sitz verspiltt 100 000 ducaten: Spottlich gesagt, das sey der Teutschen sunde- oder ablaßgeltt. Er fuhrt in seinen kriegsfahnen diese wort: O Caesar, o nullo: Kaiser oder Nichts. Der Bapst hoft solches, er warde aber gefangen in Hispanien gefuhrt, und erstochen.
Konig Ludtwig in Franckrich ein verstendiger Herr, hatte mit Kaiser Maximiliano I° des Hertzogthumb Maylandts halben auch zuthun. Einsmhals begab es sich, das er ein koniglich pancketh, darzu die vornembsten seiner Reichsstende beruffen waren, ausrichtete. Da nuhn von allenn Monarchen, under anderm, geredet warde, und des Romischen Kaysers zugleich meldung geschahe: Antwortet ein Frantzosischer herr: Der kayser were nichts anders alß ein Burgermeinster in einer schönen statt, welchem seine Burger (die Teutsche fursten und stende des Reichs meynend) ihres gefallens volge theten, Er derwegen andern königen, nit so hoch zu forchten were: Daruf sagte der weyse Konig Ludwig: Er wölte zwar disen burgenmeinster nit erzurnern, dan wo er anfing zu sturmen, thete gantz Franckreich sich entsetzen: Welches zu latein in carmine durch einen kurtz verfaßet, ich zu lob der Teutschen anhero zu setzen nit umbghen konnen: dan also lautten die lateinische verß:

    Rex invitarat quondam ad convivia Gallus
         Insigni quosdam nobilitate viros
    Qui cum de variis loquerentur Regibus, unus
         Maximilianuas extenuavit opes,
    Dixit et esse Augustum
    [Augusta?] hunc modo consulem in urbe
         Nec formidandum Regibus ergo aliis
    Sed cum Caesareas ita vires extenuari
         Audiret sapens rex Ludovicus, ait:
    Certe ego consulem eum nolim contemnere, namque is
         Tympana si pulsat, Gallia tota tremit.

Übersetzung des Gedichtes  von Manfred Flieger, München:
Der französische König hatte einst zum Gastmahl geladen / einige Männer von bedeutendem Adel. / Als diese über verschiedene Könige sprachen, / setzte einer die Macht Maximilians herab / und sagte, er sei eben nur ein Bürgermeister in der erhabenen Kaiserstadt (Reichsstadt) / und folglich auch für die anderen Könige nicht zu fürchten. / Aber als er die Macht des Kaisers so heruntersetzen / hörte, sagte der weise König Ludwig: / Sicherlich möchte ich ihn als Bürgermeister nicht verachten, denn wenn dieser / die Trommell schlägt, erzittert ganz Frankreich.
 

Die Sprache der Chronik (Auszug)

Philipp Eisenberger benutzte eine kräftige, ausdrucksvolle Sprache mit plastischen Formulierungen, schon nahe dem Barock: Auf seinen Vater hatte dessen Schulfreund Wigand Lotz, der spätere Ortenberger Lehrer, nicht – wie an sich vereinbart – aufgepaßt: under deßen muste Philips miseriam schmeltzen vor den thurn umb brott singen (S. 88). Zu seiner streitlustigen Tante:  Dan auch sie Anna beruhmpt wirdt, fur eine starckes leibs schöne, sinnreiche und manhaffte persohn (mannhaft hier als wehrhaft, streitbar, S. 78; sie hatte z.B. gemeinsam mit ihrem Mann beherzt Burg Stein gegen die Truppen Franz von Sickingens verteidigt). Von Reinhard Abel, dem Hessischen Kammermeister, heißt es, ein spitzfindiger , neidischer, unruhiger Mann, der die billichkeit wenig bedachte, alles unrhumliches gezenck in der Nachbarschaft anstifften thete (S. 99). Wie bildhaft knapp ist die Erzählung vom Mißgeschick des Vaters beim Besteigen des Pferdes in voller Rüstung auf Burg Lisberg, neben der Baugrube wegen der Brunnenarbeiten von einem Klotz aus: schneltt das klotz, und sturtzt er Philips zu ruck mitt dem kopff vornanen in das loch, das die fueß oben waren und er sich nirgendts hin regen können (S. 99). Sehr plastisch ist auch die Folge von Ausdrücken im Zusammenhang mit der Gefangennahme von Philips Großvater Henne: verrathen, gestraßenraubt, gekelngriffen, geplöckt [9], geschetzt, wobei die letzten drei Tätigkeiten stehen für würgen im Zweikampf, in den Block legen und schatzen/berauben (S. 28 u. 29). Klar kommt bei dem der Gefangennahme vorausgehenden Gefecht das Aufsteigerthema des noch nicht adligen Henne zum Ausdruck: Als der adlige Anführer unseren Henne fragte, Wer Ihm macht und gewalt gegeben hette, in gantzem harnisch gleich einem Rittermessigen also zu pferde herzuzihen, antwortete Henne trutzig, auf die Eisenstangen in seinem Wappenbild anspielend: Darumb heiße ich Eisenberger, das ich eisen fure und furen darff, Im wappen, am leib und uf der Seiten. Hatt daran jemants mangell mag es mir derselbige, doch man vor man abgurten etc. Selbstbewußtes, rittermäßiges Gebahren einer erfolgreich in Niederadel und Patriziat strebenden Familie: Name, Waffen, Wappen, sind Werkzeuge im Kampf mit den Wettbewerbern, in Amtsfunktion für den Dienstherrn und für die eigene Ehre. Der Chronist hat diese ihm besonders wichtige Stelle durch Unterstreichung und rote Randnotiz hervorgehoben: Nota. Hen Eisenbergers manliche antwort einem von Breidenbach gegeben. Ein besonderes sprachlich-erzählerisches Schmuckstück ist auch die Hofposse in Königstein, wo es etwa zu dem als Teufel verkleideten von Bommersheim heißt: Er war ein lange schwartze durre person, truckenen gesichts, mit einem schwartzen barth, großer gebogener naasen, und hatt ihm zu disem spill ein scheußlichs kleid, wie auch einen altten hutt, und daruf zwey krummer hörner machen laßen zur teuffels gestalt (S. 47). Der Zeichner von Bild 6 führt diese Beschreibung detailliert vor Augen. – Insgesamt spürt man bei diesen Geschichten, daß sie immer wieder in der Familie erzählt wurden, spannend, mit bildhafter Sprache, womit sie auch aus heutiger Sicht als qualitätvolle Literatur erscheinen.
 

Franz I. 1519 in Rüsselsheim?

Die Chronik Eisenberger berichtet, in Rüsselsheim habe der hessiche Amtmann Thonges Wolff, verheiratet mit Anna Eisenberger, 1519 den französischen König Franz I., Gegenkandidat zu Karl (später Kaiser Karl V.), bei der deutschen Königswahl im Juli dieses Jahres in Frankfurt zu Gast gehabt. Dieser habe sich in Abstimmung mit einigen deutschen Fürsten insgeheim in Rüsselsheim aufgehalten, uff den fall ihm die meinste Stimme gegeben wurden, er dem Carolo zuvohr kommen und weittere disputation kein verzug einwerffen möchte (S. 73-75). Die Chronik schildert das Geschehen auf der Festung Rüsselsheim so plastisch, daß man glauben möchte, nicht nur Admiral Bonnivet, der französische Gesandte, habe sich – wie bekannt – damals zu Rüsselsheim aufgehalten, sondern der französische König selbst. Die sonstige Zuverlässigkeit der Chronik spricht hierfür. Hinweise könnten immerhin sein, daß der venezianische Botschafter Giustinian vom französischen Hof am 7. Juni schrieb, der König gehe nach Melun zur Jagd, um Zeit zu gewinnen bis ihn die Nachricht seiner Wahl erreiche, um näher an Deutschland zu sein, obwohl Melun nur unwesentlich näher als Paris zu Frankfurt liegt; und am 22., morgen wolle seine Majestät nach Melun gehen und nach 10 bis 12 Tagen zurückkehren; sowie am 29. die Mutter des Königs habe u.a. gesagt, daß der König nicht nach Frankreich zurückkehren wolle [10]. Eine zusätzliche, unabhängige Beweisführung mit Hilfe anderer Akten oder Chroniken [11] ist jedoch noch nicht gelungen. Stellt man das Itinerar des französischen Königs [12] in diesen Tagen auf, der mit einigen Kurfürsten geheim und unter Deckname korrespondierte, z.T. unter Benutzung von Geheimschrift [13], so wäre es immerhin dem exzellenten Reiter knapp möglich gewesen, bei häufigem Pferdewechsel in der verfügbaren Zeit hin- und herzureiten. Vielleicht hat er aber auch die Orte bzw. das Datum einiger von ihm ausgestellter Urkunden fälschen lassen. Jedenfalls ist eine solche Möglichkeit für ihn, der als Karl des Großen Nachfolger an der Spitze beider Reiche [14] stehen wollte und hierfür hohe Einsätze an Geld und Macht investierte, im Bereich des Denkbaren [15].
[Nachtrag 17. 5. 2008:] Weitere Hinweise, Itinerar von Franz I. und Lage der Orte.
 

Einziges Pendant zum "Gothaer Liebespaar" [16] [Stand: 2003]

Bild 42: Weigandt Kessler. N. von Breitenbach seine hausfraw.

Das in der Chronik Eisenberger (Bild 42) wiedergegebene Doppelbildnis des Mainzer Zollherrn Wiegand Keßler und seiner Frau NN von Breitenbach [17], das der Chronist im ererbten Mainzer Hause vorfand, habe ich wegen seiner verblüffenden Ähnlichkeit zum berühmten "Gothaer Liebespaar" an anderer Stelle ausführlich diskutiert [18]. Philipp Eisenberger hat sich im Titelbild seiner Chronik mit seiner ersten Frau in dieser Art (Ehepaar hinter einer Brüstung), darstellen lassen (Bild Y). In den Abmessungen ist das Keßler-Bildnis bemerkenswerterweise genau ein Zehntel so groß wie das Gothaer Bild [19]. Bei dem Wappen der NN von Breitenbach – roter Greif in Gelb (Gold) – ist trotz der abweichenden Farben wohl an die von Breidbach – roter Greif in Silber – zu denken [20]. Das im Gothaer Liebespaar nur eine gezeigte Wappen kann danach als das bildliche Programm der Wiedervereinigung der Herrschaften Eppstein-Eppstein [21] gedeutet werden mit gleichem, symmetrischem Wappen [22]. Meine detaillierte Untersuchung der Farbanlagen dieses Wappens zeigte, daß ursprünglich die Farben von Eppstein (drei rote Sparren auf Silber beziehungsweise Weiß) genauso möglich waren, wie die von Hanau (drei rote Sparren auf Gold beziehungsweise Gelb). Das Gothaer Paar könnte demnach Eberhard IV. von Eppstein-Königstein und Agnes von Eppstein-Münzenberg sein, deren Verlobung 1494 allerdings zugunsten Emich VIII. von Leiningen bald gelöst wurde. Andere Forscher geben andere Deutungen [23], ohne allerdings bisher substantiell auf meine genannte Farbanlagenuntersuchung einzugehen. Solange diese nicht widerlegt ist, kann davon ausgegangen werden, daß ursprünglich gleichermaßen die Eppsteiner oder Hanauer Farben gemeint gewesen sein können [24]. – Ein Argument zur Stützung meiner Hypothese Eppstein-Eppstein sei hier fortgeführt: Der Eheanfechtungsprozess von Emich VIII. von Leiningen gegen Agnes von Eppstein wurde de et super vinculo seu federe matrimonii (matrimonali)  geführt [25], also "wegen der (Ehe-)Verbindung oder der Eheschließung" [26]. Im Gothaer Liebespaar und Keßler-Bild ist die Schnur bildlich und textlich (Spruchbänder) stark hervorgehoben. Die Umschnürung der halben Mützenquaste [27], wie beim Gothaer Jüngling, findet sich (wohl als Zeichen der Verlobung/Ehe) auf verschiedenen Bildnissen [27a], was bisher weder die Kostümforschung, noch die Symboleforschung diskutiert hat; so wechselte auch Albrecht Dürer mit seinen berühmten Selbstporträts von der Mützenquaste ohne Schnur (1493, vor der Ehe; Louvre [26.06.2013]) nach der Eheschließung auf die Mützenquaste mit Schnur (1498, Prado [26.06.2013]) [28]. Die Schnur, das Band (im Keßler-Bildnis als die Arbeit zitiert) ist damit wohl ein Zeichen der festen Bindung (Verlobung/Ehe). – Auch vor diesem Hintergrund erscheint mir meine Hypothese für die Personen des Gothaer Liebespaares als am wahrscheinlichsten. Da aber alles Indizienbeweise sind, darf zu diesem faszinierenden Doppelbildnis der altdeutschen Kunst bis zu weiteren klärenden Quellenfunden der Phantasie auf der Basis Eppstein oder Hanau (einschließlich eventuell gemeinter Idealisierung ohne Personenzuordnung [29]) freier Lauf gestattet werden.
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Anmerkungen:

[1] Die Chronik bietet eine reiche Auswahl, so etwa bei beiden Grafen auf Bild 48, nicht jedoch beim Keller Philipp Eisenberger. Kühnel, Bildwörterbuch, Knieband sowie Landknechtskleidung. [zurück]

[2] Seine gleichrangigen patrizischen Freunde standen in Repräsentativität und Anspruch von Kleidung und Attributen nicht dahinter zurück; vergl. etwa seinen Schwager (Bild 116). – Das weiße, blütenartige Gebilde an der linken Ecke des Oberrocks unseres Chronisten rührt von einer Beschädigung des Papieres und der Zeichnung. [zurück]

[3] Die Braguette, mit der damals die männlichen Genitalien an der Herrenkleidung betont wurden, ist in der Chronik Eisenberger stets dezent dargestellt. In dem einzigen Fall, wo sie etwas deutlicher präsentiert wird, der Szene mit Graf Reinhard von Isenburg, mildert der Eisenberger Zeichner sogar die Vorlage (Amman): Der zerhauene Stoff der Hose wird auch über die Braguette gezogen (Bild 48 und 48*). [zurück]

[4] Ähnlich dem Keßler-Bild (Bild 42), das der Chronist im Mainzer Hause vorfand, Kap. C3i bzw. in dieser Seite zum "Gothaer Liebespaar". [zurück]

[5] Zander-Seidel, Textiler Hausrat, S. 190-192. [zurück]

[6] Fliete: Aderlaßeisen. [zurück]

[7] Keil, sowie Stromayr, Practica Copiosa, fol. 90, 93 u. 93‘ (Bild 14, 16 u. 17), beim Letztgenannten streiten sich ein Rabe und ein Hund um einen Brocken unter dem Operationstisch während einer Bruchoperation. [zurück]

[8] Zum Vergleich bietet sich die Amputationsdarstellung Hans Seyffs beim Unterschenkelbrand Kaiser Friedrich III. (+1493) an. – Zu Bild und Text verdanke ich Hinweise Gundolf Keil, Würzburg. [zurück]

[9] S. 29: gestockt, in den Stock gelegt, siehe Bild 14‘. [zurück]

[10] Sanuto XVII, Sp. 415, 438 u. 458. Die Wahl fand am 28. Juni statt. Die Übersetzung der entsprechenden Texte aus dem Altvenezianischen verdanke ich Marietta Civelli, Rom, vermittelt durch Ima Rörscheid, Kelkheim. [zurück]

[11] Hinweise auf die französischen Chroniken verdanke ich Jean-Daniel Pariset, Paris. Vergl. Barillon; Bourrilly; Florange; Louise de Savoie. [zurück]

[12] Vergl. Catalogue des actes François Ier; Kluckhohn, Reichstagsakten; Barillon; Lisch; Sanuto. [zurück]

[13] Auch Franz von Sickingen hatte chiffrierte Briefe benutzt: Waltz, Flersheimer Chronik, S. X (vergl. Anh. 9, R3). [zurück]

[14] Zu dem entsprechenden Versuch Heinrich II. in der Mitte des 16. Jahrhunderts: Pariset. In Deutschland gab es vom 14 . bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts Formulierungen wie das Reich in deutschen und welschen Landen und Heiliges Reich teutscher und welscher Nation (Lutz, S. 7-8). [zurück]

[15] Zur Wahl 1519 vergl. auch Brandi sowie Kalkoff (und Press, Adel, S. 411), zu Franz I. auch Hackett sowie Guerdan. Lutz, S. 13, verweist darauf, daß es eine neue Analyse der Wahlakten und des Wahlkampfes 1517/19 nicht gibt. [zurück]

[16] Das Gothaer Liebespaar liegt mehrfach gedruckt in Farbe vor. Siehe allgemein hierzu die jüngere Literatur. Abbildung im Internet via Suchmaschine und dort Bilder: Siehe Links [zurück]

[17] In Gold sein Ring am rechten Zeigefinger, ihre Kette und ihr Haarnetz. [zurück]

[18] Bock, Verlobung. Hanns Hubach, Haßloch, verdanke ich den Hinweis, daß das Vorbild solcher Paar-Darstellungen die verlorenen Fresken der Kurfürsten-Paare im Heidelberger Schloß seien, also Darstellung von Herrscherpaaren am Hofe. Man wollte dort gegenüber den Münchener Wittelsbachern Ansprüche behaupten; es wurden nur regierende Kurfürsten dargestellt. Vergl. Beitrag Hubach in: Katalog "Der Griff nach der Krone. Die Pfalzgrafschaft bei Rhein im Mittelalter". (Schätze aus unseren Schlössern. Eine Reihe der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Bd. 4) Regensburg 2000, Nr. 228. [zurück]

[19] 112 x 83 mm (ohne Wappen) zu 118 x 82,5 cm; vergl. Bock, Verlobung, Anm. 1 u. 7. [zurück]

[20] Hinweis Hellmuth Gensicke, Wiesbaden, 1996: Von Breidbach vom Stammsitz Rheinbreitbach bei Neuwied, stammverwandt mit den Herren von Drachenfels, die einen roten Drachen in Silber im Schild führten; vielleicht sei Keßlers Frau auch eine nicht ebenbürtige Tochter dieses Geschlechts (s.a. Humbracht, Tafel 8). [zurück]

[21] Vergl. zu dem ganzen Vorgang auch Schäfer, Eppstein, S. 158, 349-350 u. 365. [zurück]

[22] Dies erscheint als die einzig stimmige Erklärung für nur ein Wappen beim Gothaer Bilde; leider ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß sich ein ähnlicher Fall einer geteilten Herrschaft, die durch Heirat wiedervereinigt werden soll und deren Wappen symmetrisch ist, finden läßt. – Mit der Möglichkeit, es sei wie in der Hennebergischen Genealogie (Gothaer Exemplar, Anh. 9, G1, vergl. Kap. C3a) nur das Wappen der Frau angegeben, müßte angenommen werden, daß eine Ahnengalerie seitens der Familie des Mannes mit solch extrem großen Formaten geplant gewesen sei (was unwahrscheinlich ist) und sich ein passendes weibliches Mitglied der Familien Hanau oder Eppstein finden lassen (was nicht in Sicht ist). – In den Genealogien der Herzöge von Mecklenburg sowie denen der Grafen von Henneberg (G1-3) erscheinen die Wappen stets ohne Helm und Helmzier. [zurück]

[23] Hess, Meister; Hess, Liebespaar; Hess, Liebespaar/Absicherung; hierzu Spiess, Dynastie, speziell S. 41, dies bleibt demnach weiterhin reine Spekulation; ebenso kritisch Häder, Jahreszeiten, S. 350, daß Bock von Hess und den anderen Autoren des Katalogs Jahreszeiten nicht diskutiert werde; neuerdings Niehr sowie Heinzelmann; zu Letzterem vergl. die Besprechung von Häder: Heinzelmann halte zunächst eine konkrete Porträtabsicht für "völlig ausgeschlossen", gäbe dann aber doch der Versuchung nach, einen weiteren Grafen von Hanau und eine seiner Konkubinen als eigenen Identifizierungsvorschlag zu unterbreiten. [zurück]

[24] Bock, Verlobung, S. 177 u. 179. Siehe auch die Stellungnahme: Bock, Unbekanntes Liebespaar. [zurück]

[25] Mehrfach so in: Or II E 8a [copia remissionis, inzwischen wieder im Archiv; vergl. Stöhlker, Anmerkungen, S. 38, u. Schäfer, Eppstein, S. 477]. [zurück]

[26] vinculum, Schnur, Band, Fessel (vergl. ad vincula Petri, Kettenfeier Petri = 1. August); vinculum conjugale, vinculum matrimonii, Eheband. [zurück]

[27] Aber auch die gedoppelte Mantelschnur; Bock, Verlobung, Anm. 161. [zurück]

[27a] Eine Umschnürung der (ganzen?) Mützenquaste beispielsweise auch bei dem 22jährigen Jüngling, oberrheinischer (?) Meister von 1490, laut Buchner möglicherweise ein Verlobungsbildnis (vgl. Ernst Buchner, Das Deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit, Berlin 1953, Katalog Nr. 50, Abb. 49 und S. 60-62). (7.11.2003) [zurück]

[28] Bock, Verlobung, Anm. 163. Auch der Vergleich von Dürers Selbstporträts bei Panofsky, Leben und Kunst Albrecht Dürers, Schweikhart, S. 185-187, Peter Strieder, Dürer, Augsburg 1996, S. 18-25, oder bei Joseph L. Koerner, The Moment of Self-Portraiture in German Renaissance Art. Chicago, London 1993, S. 30-43, geht auf solche Details der Kleidung nicht ein. Zur Deutung der Distel (Eryngium) im Selbstporträt von 1493: Jeroen Stumpel, Jolein Kregten, In the name of the thistle: Albrecht Dürer’s self-portrait of 1493, in: Burlington Magazine, Nr. 1186, Januar 2002; zitiert nach der Besprechung hierzu von Wilfried Wigand, Der Name der Distel. Dürers Selbstporträt von 1493 wurde bisher zu Unrecht als Verlobungsbild angesehen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.3.2002, S. N3. Übrigens schon Strieder, S. 19-20 (s. oben), verneint die Funktion als Brautwerbungsbild und verweist auf die Mehrschichtigkeit der Bedeutung des Eryngiums. [zurück]

[29] In einer kürzlich erschienenen, sehr lesenswerten Analyse wird das eine Wappen als dynastische bzw. Besitzer -Markierung gedeutet: Barbara Welzel: Sichtbare Herrschaft - Paradigmen höfischer Kunst, in: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Herausgeg. von Cordula Nolte, Karl-Heinz Spieß u. Ralf-Gunnar Werlich. (Residenzenforschung 14) Stuttgart 2002, S. 87-106, hier S. 96-98. (19.7.2003) [zurück]